Immer wieder wird davon berichtet, dass Greifvögel im Rahmen von Flugshows oder der Beizjagd hungern gelassen werden. Dabei wird unterstellt, dass der ausgezehrte Vogel nur zum Falkner zurück käme, weil diese ihm das ersehnte Futter anbietet. Dabei stammen diese oder ähnliche Behauptungen meist von Menschen, die noch keinen persönlichen und praktischen Einblick in die Falknerei hatten und dies nicht erleben durften wieviel Fachwissen, Geduld und Einfühlungsvermögen seitens des Falkners notwendig ist, um einen Vogel falknerisch zu trainieren („abzutragen“) und somit zum Wiederkommen zu bewegen.

Im deutschen Sprachgebrauch kommt es leider in Bezug auf die Nahrungsaufnahme der Tiere leicht zu einer Verfälschung der Fakten. So sind „Hunger“, im Sinne eines Gefühls und „Hungern lassen“, im Sinne von Auszehrung und Abmagerung vom Wortstamm ähnlich, aber ansonsten sehr verschieden. „Hungern lassen“ ist so definiert, dass dem Körper über längere Zeit wesentliche Nährstoffe vorenthalten werden. Dies ist nicht Bestandteil des falknerischen Trainings und liegt ebenfalls nicht im Interesse eines Falkners, da dadurch die körperliche Leistungsfähigkeit des Beizvogels geschwächt und dessen Gesundheit gefährdet würde!
„Hunger haben“ dagegen ist gemäß des ethologischen Handlungsbereitschaftsmodells ein innerer Faktor, der die Handlungsbereitschaft zu Nahrungserwerb und Nahrungsaufnahme bestimmt (Becker-Carus et al. 1972, Buchholtz 1993).
Hunger haben ist also ein natürlicher Zustand, der Mensch und Tier signalisiert, dass Nahrungsbedarf besteht. Für den Menschen würde man dies mit Appetit übersetzen. Ein Tier sollte nicht aus Langeweile oder zum Zeitvertreib fressen, sondern als Reaktion auf ein physiologisches Appetit- bzw. Hungergefühl. So jagt auch ein Greifvogel, egal ob Wild- oder Beizvogel, nur dann, wenn er Appetit/Hunger hat. Wenn er satt ist, so ruhen diese „Raubtiere“ hingegen, ähnlich der Großkatzen und anderen Beutegreifern, die man in Dokumentarfilmen dann meist dösend im Schatten liegen sieht. Auch auf den eigenen Tagesablauf übertragen, kann man ableiten, dass eine Futteraufnahme vor einer Bewegungsphase wenig sinnvoll ist. So beginnt ein Greifvogel ebenso wenig einen Jagdflug nachdem er gefressen hat, wie man einen Joggingrunde nach dem Mittagessen starten würde.
Eine erfolgreiche Beizjagd ist nur mit einem körperlich – und psysisch – sehr fitten Vogel mit Appetit möglich. Dies wäre bei einem durch Hungern lassen geschwächten Beizvogel nicht gegeben. Somit hat eine solche Auszehrung eines Greifvogels mit dem falknerischen Begriff der „Konditionierung“ nichts zu tun und ist deshalb noch nie die Methode oder das Ziel ordnungsgemäßer Falknerei gewesen. Zwar stimmt es, dass Falkner Futter nutzen, um ihren Beizvogel beim Zurückkommen belohnen, doch dient das Stückchen Fleisch in diesem Fall wie ein Leckerli beim Hund als Werkzeug für eine positive Verstärkung eines gewünschten Verhaltens. Durch den Begriff „Hungern lassen“ soll allerdings in polemischer und fälschlicher Weise zum Ausdruck gebracht werden, dass Falkner die Beizvögel aktiv quälen und diese entsprechend „leiden“ lassen, was nicht der Fall ist.
Lediglich der Hunger als physiologisch lebensnotwendige Signal eines regelmäßig fressenden Lebewesens kommt vor. Dieser dient in der Natur alltäglich als Anzeichen eines Energiedefizits bei allen Tieren. So müssten die wildlebenden Beutegreifer auch täglich leiden, wo dies aber außer in Notzeiten nicht angenommen oder so bezeichnet wird, so wie das bei Arbeitskollegen und Mitmenschen kurz vor der MIttagspause auch nciht genannt würde.

Der Beizvogel jagt aus opportunistisch, energetischen Gründen freilwillig mit dem Falkner im Team. Der Greifvogel lernt dabei, dass es in Zusammenhang mit dem Falkner bedeutend leichter, erfolgreich und körperlich weniger anstrengend ist Beute zu fangen. Auch deshalb kommt er stets zum Falkner zurück, auch wenn dieser ihm immer wieder die Freiheit schenkt. Es gibt viele Beispiele, bei denen selbst wilde Greifvögel lernen, bei entsprechenenden Bedingungen den Menschen als Nahrungsquelle auszunutzen und ihn aus den o. a. Gründen freiwillig aufsuchen, um direkt Futter zu holen oder auf von ihm aufgescheuchte Beutetiere zu jagen.

Folgendes Video veranschaulicht in meinen Augen eine wunderschöne Flugshow mit Greifvögeln, Altweltgeiern, Neuweltgeiern, Pelikanen, Störchen und Ibissen. Alle Tiere wirken gesund, kräftig und zeigen Fluglust. Es ist besonders wichtig, die Tiere mit positiver Verstärkung und der täglichen Fütterung zum Fliegen zu motivieren. Alle gezeigten Vögel haben einen normalen Tageshunger. Ich sehe hier keine leidenen oder gar kranke Tiere.
In der Falknerei versucht man im optimalsten Fall den eigenen Jagdvogel mit der größten Muskelmasse und somit dem höchstmöglichen Körpergewicht zu fliegen. Nur dann ist er kräftig genug, um schnell, ausdauern und schließlich erfolgreich jagen zu können. Insbesondere Falken oder Wüstenbussarde spüren instinktiv, wenn sie eigentlich nicht ausreichend Kraft oder Kondition für den Jagdflug haben und brechen diesen daher meist vorzeitig ab.
Folgendes Video erklärt leicht verständlich die Beizjagd mit dem Wanderfalken:
So haben wir zum Beispiel beim Fittnesstraining eines Merlinfalkens die Beobachtung gemacht, dass er täglich schon freiwillig auf die Fraust sprang ohne dort Futter aufzufinden. Man merkte ihm wahrlich den Spaß an, denn er wusste, dass der Falknerhandschuh immer etwas Positives für ihn war. Mit höchster Motivation trainieren wir die Pfleglinge mit ihrem Tageshunger.
Es ist zu vergleichen mit dem Hundetraining, hier gibt man dem Hund z. B. in einer Hundeschule ein Leckerchen, wenn er etwas richtig gemacht hat. Hier höre ich persönlich nie davon, dass man die Hunde hungern lässt! Die Tiere werden bei richtigem Verhalten (mit dem bestehenden Tageshunger) belohnt, ähnlich verläuft dies bei Greifvögeln. Greifvögel kann man nicht bestrafen, sondern nur für richtiges Verhalten belohnen. Einige Greifvogelarten sind hochintelligent, so dass man diese tatsächlich mit der Intelligenz mit einigen Hundenarten gleichstellen kann! Das Befestigen der Lederriemchen an den Füßen der Greifvögel ist dem Halsband und der Leine für Hunde gleichzustellen und bedeutet keine Quälerei. Es tut den Vögeln nicht weh, genauso wenig wie einem Hund.
Immer satt sein ist sogar gesundheitsschädlich!
Aber, insbesondere bei Greifvögeln/Eulen, die ein Leben lang in Volieren gehalten werden, gibt es manchmal sogar gesundheitliche Probleme, wenn die Tiere immer Zugang zu Futter haben (= ad libitum Fütterung). Dann kann dies bei den Tieren Verfettung (Adipositas), Erkrankungen wie Arteriosklerose oder Fußerkrankungen (Pododermatitis) begünstigen. Diese Probleme sind von Tieren in zoologischen Einrichtungen bekannt, die jeden Tag eine volle Ration Futter gereicht bekommen.
Hungertage bei größeren Arten werden unterlassen, obwohl es wichtig für die Gesundheit der Tiere wäre. Hier sollte ein Umdenken statt finden.

Das Röntgenbild einer Kleineule mit Legenot – das Tier ist deutlich verfettet – die Legenot war in diesem Fall das Ergebnis falscher Ernährung! Das zahlte das Tier mit dem Leben.
Vögel sind in der Lage bei einer Überversorgung mit Futter, Fettreserven im unteren Bauchbereich anzulegen. Dies kann sogar zu Atemproblemen im fortgeschrittenen Zustand führen, da das Fett auf die unteren Luftsäcke drückt! Auch eine Fettleber kann das Ergebnis einer falsch verstandenen Überversorgung der Vögel sein.
Für uns Menschen ist es gesund regelmäßig Hunger zu haben. Wer immer isst, und sei es nur aus Appetit, tut sich und seinem Körper nichts Gutes an.
Demnach ist Hunger haben gesund und hat nichts mit Leiden oder Auszehrung zu tun!
Aus dem praktischen Alltag unserer Pflegestation können wir berichten, dass wir noch nie einen frisch verunfallten Greifvogel oder eine Eule bekommen haben, welche übergewichtig gewesen sind.
Ich hoffe ich konnte mit meinem Beitrag einen Denkanstoß geben und ein besseres Verständnis zu dem Thema erreichen.